Statement eines Elternteiles aus Duisburg: Die marginalisierten Verlierer

DIE LINKE. Duisburg

Ich bin Vater von drei Kindern und privilegiert. Meine Frau und ich sind berufstätig, wir wohnen in unserem keinen Reihenhäuschen mit kleinem Garten, unsere Kinder sind gesund. Zurzeit befinde ich mich meiner siebenmonatigen Elternzeit, Kurzarbeit oder ähnliches betrifft uns nicht. Trotzdem bin ich wütend – und mit den Nerven am Ende.

 

Unsere Kinder sind sechs und drei Jahre, sowie neun Monate alt. Ein Kind besucht die erste Klasse, eines die Kita und das Jüngste wird von mir in der Elternzeit betreut. Am 13. März änderte sich alles aus bekannten Gründen – die Schulen und Kitas wurden geschlossen. Seit acht Wochen bin ich also mit den drei Kindern zuhause.

 

Welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus spielen, ist zurzeit nicht klar. Es gibt widersprüchliche Studien und Aussagen. Es gibt jedoch starke Hinweise darauf, dass Kinder keine große Rolle in der Pandemiedynamik spielen. Präventiv jedoch wurden und werden Kinder aus dem öffentlichen Raum verbannt.

Acht lange Wochen befanden sich unsere Kinder mit mir in einer quasi Quarantäne. Im öffentlichen Raum sind Kinder zurzeit etwa so gerne gesehen wie ein tollwütiger Fuchs. Supermärkte beschildern großflächig ihre Zugänge mit Hinweisen wie: „Lassen Sie die Kinder zuhause – Einkaufen ist kein Familienausflug!“, öffentliche Spielplätze waren bis zum 07.05. geschlossen, Oma und Opa sollen nicht besucht werden. Wobei, wie formulierte Karl Lauterbach es neulich bei WDR 2 sinngemäß: „Wenn die Kinder schlau sind und alles, was Kinder angefasst haben desinfiziert wird, können Besuche stattfinden“. Lasst also die dummen Kinder nicht in die Nähe von anderen!

Am 08.05. veröffentlichte das Land NRW in Person von Herrn Dr. Stamp (FDP: Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen; Stellvertretender Ministerpräsident) den Fahrplan der Kitas und Schulen bis zu den Sommerferien bzw. bis zum September. Mit großer Vorfreude saß ich gebannt vor dem Livestream. Acht Wochen lang hatte man Zeit, nach einer praktikablen Lösung für Schul- und Kitakinder zu suchen. Vorbilder gibt es bspw. in Dänemark, Schweden, Island. Heraus kam eine halbgare Lösung, die kaum einer Familie weiterhelfen wird.

Unser Schulkind darf bis zu den Sommerferien sieben mal vier Schulstunden absolvieren. Ansonsten soll weiterhin das Lernen auf Distanz stattfinden, wie es euphemistisch genannt wurde. Lernen auf Distanz bedeutet, dass wir einmal pro Woche via Mail einen Lehrplan erhalten. Der Rest ist Sache der Eltern. Digitale Schule? Fehlanzeige! In den Klassenchats gibt es nicht wenige Eltern, die die Aufgaben nicht verstehen, die auch keine Möglichkeit haben, einen Drucker zu nutzen, die nicht über einen Computer verfügen. Wenn es Fragen gibt, kann man sich per Mail an den Lehrer wenden. Das war es. Da dieses für viele Eltern eine zu große Hürde darstellt, coachen die Eltern sich gegenseitig. Damit mache ich den Lehrern und Lehrerinnen keinen Vorwurf. Aber warum ist es nicht möglich, die Schulen ordentlich mit Technik auszustatten, sodass Unterricht tatsächlich digital stattfinden kann? Was braucht es? Eventuell eine Videokamera, damit kurze Lehrfilme aufgezeichnet werden können. Oder eine Webcam und ein Mikrofon für den direkten Austausch. Das sollte in einem Land wie unserem doch möglich sein.

Schlimmer noch die Situation für unser Kitakind. Die Erzieherinnen und Erzieher geben sich wirklich große Mühe, den Kontakt zu uns zu halten und dem Kind Mal- und Bastelangebote zu unterbreiten. Aber ich kann über diesen langen Zeitraum keine Kita ersetzen. Ich habe den Eindruck, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Kita zu einer Verwahranstalt degradiert wird. Kitas sind Bildungseinrichtungen! Die Erzieherinnen und Erzieher legen einen extrem wichtigen Grundstein für die Entwicklung des Kindes. Unser Kind wird nun voraussichtlich weitere vier Monate nicht in den Genuss kommen, diese Art der Förderung zu erhalten, da es weder Vorschulkind ist noch gesonderten Förderbedarf hat. Herr Stamp hat gestern schwammig formuliert, dass es zumindest allen Kindern an zwei Tagen vor den Sommerferien ermöglicht werden soll, die Kita zu besuchen. Naiv-romantisch ging ich von zwei Tagen pro Woche aus. Das war ein Fehler, denn gemeint waren wohl zwei absolute Tage. Wie es im September weitergeht weiß man nicht. Eingeschränkter Regelbetrieb wird es genannt und soll davon abhängig sein, wie viele Erzieherinnen und Erzieher zur Risikogruppe gehören und deshalb nicht arbeiten können. Warum weiß man es heute noch nicht? Das ist für mich unverständlich.

Lockerungen gibt es an allen Orten und ich muss aufpassen, dass ich nicht in ein „Warum die und nicht ich?“ verfalle. Aber es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass beispielsweise ab dem 30. Mai wieder Sport mit unvermeidlichem Körperkontakt ausgeübt werden darf, dass Dienstleistungen mit unvermeidbaren engen Kontakten erlaubt sind und so weiter und so fort – dass aber Familien wie unseren keine klaren Perspektiven aufgezeigt werden. Nichts genaues weiß man nicht. Und das ist für mich das Schlimmste. Worauf wartet man? Auf einen Impfstoff? Das kann Jahre dauern. Man stelle sich vor, man hätte auf einen Impfstoff für das HI-Virus gewartet. Auf sinkende Fallzahlen oder Reproduktionsraten? Warum beziffert man es dann nicht? Was ist also das Ziel? Das Virus wird nicht verschwinden. Es wird auf absehbarer Zeit dabei bleiben, dass ich mit schreiendem Baby auf dem Arm und gelangweiltem und unterfordertem Dreijährigen an der Hand unser Schulkind beschule und versuche, alle bestmöglich zu fördern. 15 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Ohne Abstand, ohne die Möglichkeit, neue Kraft zu schöpfen.

Aber immerhin kann ich mit den Kindern ja jetzt endlich wieder in den Biergarten gehen und Bundesliga gucken. Sofern ich mich den bösen Blicken der anderen Gäste aussetzen möchte, denn Kinder im öffentlichen Raum kommen ja gerade nicht so gut an.

(Der Autor des Textes ist DIE LINKE. Duisburg bekannt, er möchte aber anonym bleiben)


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