Stellungnahme zu unserem Rücktritt auf dem Kreisparteitag vom 12. November 2022

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

am vergangenen Samstag, den 12.11.2022, hat beim Kreisparteitag ein Großteil des Kreisvorstandes seinen Rücktritt erklärt. Dies macht die komplette Neuwahl des Kreisvorstandes laut Satzung erforderlich.

 

Namentlich zurückgetreten sind die Beisitzer:innen Jana Krull, Tim Westphal, Markus Menzel sowie die Sprecherin Helena Hayer und auch ich, Matthias Brachvogel, als Sprecher. Diese Entscheidung ist keinem von uns leicht gefallen und hat viele Gründe.

Schon länger gab es viele Frustrationen nicht nur gegenüber dem Landes- und Bundesverband, sondern auch hier im Kreisverband und gegenüber Teilen unserer Ratsfraktion. Eine weitere auf Vertrauen basie­rende Zusammenarbeit ist für die Zurückgetretenen spätestens nach den Vorgängen auf dem Kreisparteitag nicht mehr möglich. Wir wurden von mehreren Mitgliedern gebeten, über die Vorgänge auf dem Kreisparteitag und unseren Rücktritt zu schweigen. Da ihr spätestens mit dem Versand der heutigen Einladung zur Neuwahl des Kreisvorstandes davon sowieso Kenntnis erlangt und diese Bitten aus unserer Sicht ein seltsames Demokratieverständnis offenbaren, möchten wir euch selbstverständlich über unsere Beweggründe transparent und möglichst sachlich informieren. Die auf dem Kreisparteitag gegen uns erhobenen Vorwürfe und Anschul­digungen können und wollen wir nicht so stehen lassen.

Es ging, wie sich der ein oder andere schon denken kann, um das Debakel der Kundgebung mit Sahra Wagenknecht. Die vollständige Korrespondenz sowie der Ablauf lässt sich auf der Home­page des Kreisverbandes nachlesen und wir wollen den Vorgang hier nur kurz umreißen:

Christian Leye wollte im November eine Kundgebung mit Sahra Wagenknecht veranstalten, welche durch die Bundestagsfraktion finanziert, geplant und durchgeführt werden sollte. Der Kreisvorstand, der ohnehin nicht die nötigen Ressourcen hätte und mit dem Streit aus dem Jahr 2021 im Hinterkopf, ebenfalls wegen einer Wagenknecht-Kundgebung, den wir nicht wiederho­len wollten, um eine solche Veranstaltung durchzuführen, sicherte zu, keine „Steine in den Weg“ zu legen. Nach der öffentlichen Ankündigung gab es z.T. heftige Reaktionen in den sozi­alen Medien, sogar von Gegenprotesten war die Rede, weswegen Christian Leye Helena Hayer und mich um ein Votum bitten wollte, ob die Veranstaltung durchgeführt oder besser abgesagt werden sollte, da mit einem großen medialen Echo zu rechnen war. Wir als Kreisvorstand bzw. als direkt angesprochene Sprecherin und Sprecher des Kreisverbandes sahen diese Entschei­dung jedoch nicht in unserer Ebene und unserem Verantwortungsbereich, sondern beim Frak­tionsvorstand der Bundestagsfraktion, an welchen wir uns per Mail wandten und auch Christian Leye darüber in Kenntnis setzten. Das Ergebnis war, dass Sahra Wagenknecht die Veranstal­tung einseitig von sich aus absagte. Daraufhin folgten zahlreiche Artikel von Spiegel über nd bis zur WAZ, welche die unterschiedlichsten Reaktionen hervorriefen. Von „Fanpost“ sowie fal­sche Anschuldigungen seitens der Genoss:innen Werner Wirtgen, Edith Fröse und Thomas Keuer die dem Kreisvorstand unterstellten  man würde Sarah Wagenknecht ein „Rede- und Auftrittsverbot“ auferlegen. Diese „Form der Unterdrückung von Meinungsfreiheit“ würde man nur von Rechtsradikalen kennen, ja selbst ein Vergleich zur Ermordung von Rosa Luxemburg blieb nicht aus.

Auf der Mitgliederversammlung wurde ein Beschlusspapier als Tischvorlage, siehe Anhang, von Ulrike Eifler, Michael Dubielczyk und Horst Werner Rook vorgelegt und u.a. von Christian Leye vorgestellt, in dem behauptet wurde, dass die Veranstaltung „auf Druck der Kreisverbandsspre­cher“ wieder abgesagt wurde und wir als gewählte Kreissprecher:innen nicht die Legitimation hätten, mit dem Fraktionsvorstand per E-Mail zu korrespondieren. An dieser Stelle möchte ich kurz aus unserem Schreiben an die Bundestagsfraktion zitieren:

„In unserem Demokratieverständnis sind wir aber nicht die Ebene, in der wir als Kreisvorstand darüber entscheiden müssen, ob die Kundgebung am 18.11. mit Sahra Wagenknecht stattfin­det oder abgesagt wird.“

Was sich bereits im Sommer 2021 abgezeichnet hatte, wurde dieses Jahr weitergeführt und auf die Spitze getrieben. Es gibt rund um die Person Wagenknecht und ihre polarisierenden Aussa­gen einen tiefen Spalt, auch im Kreisverband Duisburg, den wir nicht weiter vergrößern wollten und somit Verantwortung für den gesamten Kreisverband und alle Mitglieder getragen haben. Im Gegenteil haben wir immer das Gespräch und den Kompromiss gesucht, bzw. die Mitglieder auf Mitgliederversammlungen basisdemokratisch entscheiden lassen.

Anstatt es bei unserer Entscheidung aus der Kreisvorstandssitzung zu belassen, eben dass der Kreisvorstand kein Votum pro oder contra einer Wagenknecht-Kundgebung abgibt und unsere Beweggründe zu akzeptieren, wollte er mit seiner E-Mail an die Kreissprecherin Helena Hayer und mich eine Entscheidung herbeiführen. Die Kundgebung mit Sahra Wagenknecht hätte ohne diese Intervention am 18. November stattfinden können.

Eine Anmerkung meinerseits (Matthias): Ich würde sehr gerne verstehen, wie man zu der Auf­fassung kommen kann, dass ein Sprecher eines kleinen, kommunalen Kreisverbandes so viel „Druck“ auf eine langjährige, erfahrene Politikerin ausüben konnte, dass diese sich dazu genö­tigt fühlte, die Veranstaltung abzusagen. Da passt in der Version der Geschichte von Christian Leye so gut wie nichts zusammen.

Das Beschlusspapier wurde im weiteren Verlauf der Sitzung und nach dem Rücktritt der ge­nannten Kreisvorstandsmitglieder zurückgezogen und wir wurden gebeten unsere Rücktritts­entscheidung zu überdenken und es erfolgte die mehrfach vorgetragene Bitte, über die Ereig­nisse auf dem Kreisparteitag zu schweigen. Eine Entschuldigung bezüglich der falschen Dar­stellungen blieb aus. Bis heute. Aber auch eine Rückmeldung seitens des Fraktionsvorstandes der Bundestagsfraktion ist bis heute ausgeblieben. (Stand 17.11.2022).

Sehr bezeichnend ist auch, dass viel Kritik und Respektlosigkeit am Kreisparteitag seitens Ge­noss:innen kam, die die letzten Wahlkämpfe vor allem mit Abwesenheit und/oder Gemecker geglänzt haben, sich nie auf Veranstaltungen des Kreisverbandes blicken lassen oder aktiv im Wahlkampf waren, jedwede Arbeit zumeist grundlos kritisierten, aber einige für außerparteili­che Infostände und Kundgebungen unter einem anderen Markenzeichen immer Zeit fanden, wie viele Beiträge in den sozialen Netzwerken zeigen. Dieses gezeigte Engagement hätte ich mir für unsere Duisburger Parteiaktionen gewünscht.

Weitere von uns kritisierte Punkte waren vor allem der Umgang mit jungen Genoss:innen, die von Teilen der Mitglieder nicht ernst genommen werden und dies auch oft und offen geäußert haben. Es wird jedes Jahr erneut von „Förderung der Jugend“ und „Nachwuchsausbildung“ ge­redet, in der Realität wird davon aber nichts umgesetzt. Aber Jugendförderung fängt für uns schon viel niedrigschwelliger an: Wertschätzung und Hilfestellungen im realen Parteileben, wenn junge Genoss:innen bereit sind, Aufgaben zu übernehmen, erwarteten wir von den Erfah­renen des Kreisverbandes und der Ratsfraktion auch Unterstützung. Dieser Punkt gilt nicht nur für unsere jungen Genoss:innen, sondern für alle Mitglieder, die gerne in den Gremien mitar­beiten möchten.

Wenn dann, wie auf dem Kreisparteitag geschehen, junge Genossen, vor allem Genossinnen von zumeist älteren Genossen, mit Häme und Spott überschüttet werden, sie süffisant belä­chelt oder ausgelacht werden, ist das nicht mehr schweigend hinnehmbar und sagt viel über das Niveau einzelner Personen aus.

Alle Zurückgetretenen und ich sehen sich nicht mehr dazu in der Lage, die Partei und den Kreis­verband mit gutem Gewissen, auf Basis des Erfurter Parteiprogramms DIE LINKE und im Sinne aller Mitglieder nach außen zu vertreten, geschweige denn noch weiter Zeit, Geld und Arbeit zu investieren, da diese offenbar nicht nur nicht geschätzt, sondern auch nicht gewollt ist.

Wie bereits im letzten Jahr berufen wir uns auf das Erfurter Parteiprogramm, das jedes Mitglied bei Parteieintritt anzuerkennen hat, besonders dann, wenn er oder sie Ämter und Mandate aus­füllt und für die Partei DIE LINKE in der Öffentlichkeit steht und sich im Namen der Partei äußert.

Der alte Kreisvorstand möchte sich bei allen aktiven Genoss:innen für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren bedanken und wünscht dem neuen Kreisvorstand Durchhaltevermögen, Kraft und Energie und ein gutes Händchen für alle kommenden Herausforderungen.

Mit solidarischen Grüßen,

Matthias Brachvogel

Auch im Namen der Zurückgetretenen:

Jana Krull, Helena Hayer, Markus Menzel, Tim Westphal

 

PDF: Stellungnahme zu unserem Rücktritt auf dem Kreisparteitag vom 12. November 2022